Wie ich selbst zur Vorgesetzten und Coach in einer Person wurde
Meine ersten Schritte im Coaching bin ich eher unfreiwillig gegangen. In der Firma, die ich mit aufgebaut habe wurde unsere Doppelspitze in der Vertriebsleitung aufgelöst und da ich "gut mit Menschen kann" hat man mir kurzerhand die Personalentwicklung anvertraut mit der Bitte, unsere Mitarbeiter zu coachen. Parallel war ich im Management-Board und Prokuristin der Firma. Eine gefährliche und oft explosive Mischung, der ich in letzter Konsequenz selbst zum Opfer gefallen bin. Daher möchte ich das Thema kritisch betrachten und Lösungswege aufzeigen.
Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. (Albert Einstein)
Nicht jede Firma leistet sich den Luxus einer Mitarbeiterentwicklung
Mitarbeitende zu entwickeln mag in Konzernen und dem Mittelstand schon ganze Abteilungen in Schach halten, die zugeschnittene Programme aufsetzen, Coaches beschäftigen und digitale Lernwelten kreieren. Bei kleinen Firmen und Startups, in denen ich beispielsweise groß geworden bin, wird das oft als überflüssiger Luxus angesehen.
Nicht nur deshalb wird es oft der Führungskraft zuteil, die eigenen Mitarbeitende auch in Entwicklungsfragen zu betreuen, oder in einigen Fällen auch als eigener Coach zu fungieren. Doch das kann nicht nur arbeitsrechtlich kritische Auswirkungen nach sich ziehen. Was sich auf den ersten Blick als kostengünstiger Schachzug für Chefs anfühlen mag, kann alle Seiten vor neue Probleme stellen und gibt vor allem dem Mitarbeiter nicht die Neutralität an die Hand, die für eine berufliche Entwicklung oft benötigt wird.
Die coachende Führungskraft - ein Modell mit Zukunft?
Viele Führungskräfte haben durchaus eine natürliche Begabung, ihre Mitarbeitende beim inneren Wachstum zu unterstützen und sie als Coach zu begleiten, einige nennen auch eine Ausbildung ihr eigen.
Die Tatsache, dass man als coachende Führungskraft die eigenen Prozesse im Unternehmen, die Keyplayer und Politik kennt, sind reizvoll und können in einem Coaching natürlich Dimensionen eröffnen, deren Tiefe ein Coach als außenstehende Person nur schwierig erreicht.
Jedoch ist es für die Reflexion des Mitarbeitenden und die Schilderung seiner/ihrer beruflichen Gegebenheiten gegenüber einer neutralen Person oft schon "part of the process". Denn für einen Coach lassen sich hier bereits wichtige Muster, Glaubenssätze, Systeme und Formulierungen erschließen, die einer Führungskraft verschlossen bleiben.
Chancen der coachenden Führungskraft
Der Mensch steht im Mittelpunkt. Ein Unternehmen, das die Coaching-Kompetenz seiner Führungskräfte entwickelt, setzt auf Beziehungen (Anerkennung und Wertschätzung) und bindet so seine besten Mitarbeiter*innen.
Jedes Coaching-Gespräch fördert die Selbstverantwortung und die Selbsttätigkeit des Coachees. Führung ist "push", Coaching ist "pull".
Vorgesetzte wird vom Macher, der/die den kompletten Überblick hat, zur Begleiter*in kreativer Lösungsfindungen in Bereichen, wo auch er/sie sich nicht auskennt.
Interne Abläufe und politische Dynamiken können anders bewertet werden und helfen oft, eine schnelle Lösung für Problemstellungen zu finden.
Risiken der coachenden Führungskraft
Die Begriffe "Führung" und "Coaching" werden in Unternehmen häufig verwechselt. Eine unterstützende Haltung gehört zum Coaching, ist aber alleine kein Coaching. Coaching ist ergebnisoffen, Führung nur selten.
Zum Coaching gehört Coaching-Kompetenz. Wenn der Mitarbeiter*innen der Führungskraft als Coach nicht vertraut oder sogar die Befürchtung hat, der Führungskraft gelingt die Trennung der beiden Rollen nicht, wird nicht nur Coaching schwierig - sondern auch Führung. Dazu gehört auch anzuerkennen, dass es Themen gibt, aus denen sich die Führungskraft coachend heraushalten sollte: Persönlichkeits- und Karriereentwicklung. Doch viele Führungskräfte überschreiten diese Grenze oft in der Doppelfunktion als Coach.
Die klare Trennlinie zwischen neutraler und diskreter Begleitung und Vorgesetzten, die als „typischer Arbeitgeber“ in erster Linie den Unternehmenszielen verpflichtet sind, löst sich auf. Die mögliche Folge ist ein Interessenkonflikt
Arbeitsrechtliche Fallstricke durch die Fürsorgepflicht als Führungskraft und die Verschwiegenheit im Coachingprozess können sich beispielsweise bei der Beurteilung von Mitarbeitenden niederschlagen, denn die Führungskraft kann Wissen aus Coachingprozessen bewusst oder unbewusst in diese Bewertung einfließen lassen.
Wirkliche Offenheit, gerade bei Unstimmigkeiten zu Führungsstil oder politischen Gegebenheiten zwischen Coachee und Führungskraft herzustellen, ist schwierig. Einen Raum für Offenheit und Verletzlichkeit, Überforderung und Ratlosigkeit in schwierigen Situation zu halten, bringt die Führungskraft unter Umständen an die Grenzen dieser Doppelfunktion.
(vgl. auch "Der Chef als Coach" Coaching Magazin 2007, 2018)
Meine persönliche Erfahrung in der Doppelfunktion als Coach und Management-Mitglied
Als ich begonnen habe, Mitarbeitende als interne Coachin zu begleiten, habe ich das zunächst recht blauäugig begonnen und war voller Tatendrang, meinem Team als Bereicherung zur Seite zu stehen und gleichwohl erleichtert ein Stimmungsbarometer für die Aussteuerung von Mitarbeiterzufriedenheit gefunden zu haben.
Ich legte Akten an, stellte Termine im Kalender ein, die man sich buchen konnte, um 60min mit mir ein 1:1 Gespräch zu haben. Ich bezog einen schönen Coaching-Raum mit bequemen Sesseln und kaufte frische Blumen, dezente Hintergrundmusik und jede Menge Literatur, die ich nächtens büffelte, um der neuen Funktion gerecht zu werden.
Persönlich war ich zwar keine Führungskraft mehr, hatte aber einen Großteil des Teams selbst eingestellt und länger geführt.
Ich war nicht in der Lage, die beiden Felder Unternehmensführung als Management-Mitglied und interner Coach gut zu trennen, das gebe ich ganz offen zu.
Ich habe beispielsweise meine eigene Assistentin, auf die ich nur schmerzlich verzichten wollte, in einem wöchentlichen Coaching dazu beraten, wie sie ihren Ausstieg aus der Firma gestalten kann - durfte es aber im Mangementmeeting oder in der HR-Abteilung nicht sagen, um rechtzeitig Ersatz zu finden.
Diese Situationen häuften sich und eskalierten, als ich mir meiner Sonderrolle bewusst wurde. Ich war die einzige Person im Management-Board, die kein eigenes Team leitete, aber vor allem den Schmerz und die Unzufriedenheiten, Missstände und Groll gespiegelt bekam und kam mir in dieser Doppelrolle immer hilfloser vor.
Ich entschied mich dazu, mein Schweigen teils zu brechen und berichtete meinem Chef aufgelöst davon, wie unzufrieden viele Mitarbeiter*innen (ohne deren Namen zu nennen) mit einigen Führungskräften und deren Methoden, vor allem aber mit der Gesamtsituation sind.
Die ohnehin schon hohe Fluktuation war in Gefahr vollkommen auszuufern und ich sah mich verpflichtet als Prokuristin das Wort zu ergreifen und gegenzusteuern.
Ich wollte für meine Coachees einstehen und die Leitung sensibilisieren dass wir, wenn wir so weiter machen, ins offene Messer laufen.
Letztlich scheitere ich auch mit meinem Appell für eine neue Führungskultur gänzlich und wurde in einem für mich traumatischen Prozess nicht nur aus der Position gehoben, sondern unterschrieb meinen Auflösungsvertrag. Die Doppelfunktion brach mir final das Genick in dieser Firma und ich brach zu neuen, eigenen Ufern auf.
Rückblickend bin ich sehr dankbar für diese Erfahrung, denn ich habe dadurch meine Leidenschaft entdeckt, Menschen zu begleiten beim Wachstum auf allen Pfaden und ihnen zu dienen mit meinen Fragen und meiner Intuition.
Externes Company-Coaching
Nach meinen Erfahrungen als interner Company-Coach und mit einer mittlerweile eigenen Beratungsfirma hat mich der Gedanke weiter umgetrieben.
Wie kann man als Unternehmen, das entweder keine Stelle für Personalentwicklung schaffen kann/möchte oder eher auf Workshops als auf individuelle Betreuung der Mitarbeiter*innen setzt, das Team dennoch gezielt beim Wachstum unterstützen?
Die Idee des "Company Coachs" wurde geboren und ich schrieb ein Konzept und Angebot für genau solche Firmen. Durch eine externe Begleitung kann die Firma nun von den Vorteilen eines persönlichen 1:1 Coachings für ausgewählte Mitarbeiter oder Abteilungen, profitieren.
In der Praxis kann das so aussehen, dass ich als Potential-Entwicklerin (ich mag das Wort "Coach" nicht so gerne) einmal in der Woche im Unternehmen bin und Slots à 60-90min für Mitarbeiter*innen anbiete, die mit mir arbeiten möchten. Diese unterstütze ich dann in Karriere- und Persönlichkeitsentwicklung.
In monatlichen Meetings mit der Geschäftsführung tausche ich mich über wahrgenommene Potentiale und Risiken, kulturelle Ungleichgewichte und Alarmsignale aus.
Ohne dass die Mitarbeiter*innen, die ich begleite, ihren Schutz meiner Verschwiegenheit gefährdet sehen.
Die Unternehmen können so agieren und reagieren und die Entwicklung ihrer Mitarbeiter gesichert sehen.
Die Wertschätzung, die Teammitgliedern durch so eine Maßnahme entgegengebracht wird, ist für viele ein wichtiger Baustein ihrer Zufriedenheit am Arbeitsplatz und stärkt die Retention.
Fazit
Ob Mitarbeitende durch Entwicklungsmaßnahmen unterstützt werden sollen, stellt sich nicht als Frage, sondern eher WIE das gelingt.
Wenn eine klare Grenze gezogen werden kann und Themen wie Karriereentwicklung und persönliches Wachstum ausgeklammert werden und rein fachlich Coaching durch die Führungskraft angeboten wird, kann das gelingen.
Sobald man vollumfänglich und wertschätzend Mitarbeitende entwickeln möchte, lohnt es sich, auf externe Profis zurückzugreifen und beide Seiten nicht in Interessenskonflikte zu bringen.
TATSINN ist ganzheitliche Begleitung & Consulting für Mensch & Unternehmen. Perspektivwechsel und Entscheidungshilfe. In Berlin & weltweit per Skype mit der Potentialentwicklerin Ann-Carolin Helmreich.
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