Am 25.04.2015 saß ich gegen 12 Uhr mittags in meinem Hotelzimmer in Kathmandu, als binnen weniger Minuten über 9.000 Menschen starben.
Das Jahrhunderterdbeben in Nepal war lange vorausgesagt, dauerte fast zwei Minuten mit einer Stärke von 7,8. Kurzum: Es war verheerend.
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass ich gerade ein Erdbeben erlebe.
Zunächst ist da diese ganz eigene Geräusch, eine Kakophonie aus schreienden Vögeln, zerberstenden Gebäuden und Schreien.
Ich kauerte vor meinem Bett in Embrionalstellung und schützte meinen Kopf mit meinen Händen.
Um mich herum fielen meine Sachen von den Schränken und vom Tisch.
"Das war's jetzt vielleicht." schoss es mir durch den Kopf. Doch ich überlebte. Dieses Erdbeben und knapp 100 Nachbeben in den kommenden Tagen.
Wie ich diese Zeit erlebt habe, welche Gedanken ich hatte und wie ich in den Trümmern eines Landes binnen 72h eine Hilfsorganisation gründete, davon erzählt mein damaliger Urlaubsblog.
Zurück in Deutschland, im Herzen in Nepal
Zurück in Deutschland veränderte sich mein Leben drastisch.
Die posttraumatischen Belastungsstörungen setzen ein und noch viel schlimmer -
mein Unverständnis für die "First world problems" meiner Mitmenschen. Meine Gedanken drehten sich unentwegt um Nepal und ich hatte ein schlechtes Gewissen, wenn es mir gut ging, während dort so viele leiden. Ich spürte Weltschmerz.
Ganze zwei Jahre widmete ich mich der Hilfsorganisation und setze einen Großteils des Geldes, das ich aus dem Verkauf unserer ersten Firma ABSOLVENTA erhalten habe, für Nepal ein. Ich lebte dafür. Es war mein Prozess, das eigene Trauma zu heilen. Und persönlich zu reifen.
Die Medien griffen meine Geschichte auf, ich erzählte sie. Um noch mehr Spenden zu generieren. Immer und immer wieder.
Ich erzähle meine Geschichte im Fernsehen, bei Freund*innen, meinem neuen Trauma-Therapeuten, im Radio, auf Websiten.
Meine Therapie war und ist das Sprechen. Das Helfen. Das für andere da sein.
Wenn du verzweifelt bist, hilf Anderen und lerne, dass Selbstlosigkeit in dir neue Ressourcen bilden kann.
Immer wieder flog ich nach Nepal, immer mehr Menschen schlossen sich unserer kleinen Gemeinschaft an. Ein Jahr später waren wir eine eingetragene NGO in Nepal und bewohnten ein kleines Haus am Stadtrand von Kathmandu.
Dort unterrichteten wir Kinder und betreuten sie, entsendeten unsere Volunteers in Waisenhäuser und andere soziale Einrichtungen.
Es war eine wunderbare Zeit, dort zu helfen. Sie war auch unsagbar mühevoll und anstrengend, auch zwischenmenschlich.
Blick nach vorn - was kommt, wenn die Welt wieder still steht
Irgendwann war klar, dass ich mich entscheiden möchte.
Das Pendeln zwischen zwei Ländern wurde anstrengend.
Ich verdiente nicht wirklich genug Geld mit meinem kleinen Fair Fashion Label YAKMANDU, das ich ein halbes Jahr nach dem Erdbeben gegründet hatte. Mit dem Verkauf von Schals und selbst entworfenen Accessoires wie Rucksäcken und Taschen unterstützte ich dort Frauen in prekären Lebenslagen.
Ein Herzensprojekt und eine wunderbare Erfahrung, das ich 2018 dann auflöste und in Frieden verabschiedete.
Eine wunderbare Zeit, für die ich dankbar bin und meine erste Unternehmerin-Erfahrung ganz auf mich allein gestellt.
Parallel gründete ich TATSINN (damals "Coaching für dich") und knüpfte an alte Businesskontakte an, die mich weiterhin verfolgt hatten.
Ich wurde zu meinen ersten Workshops und Coachings gebucht und fand wieder Freude an dem, was ich lange verloren geglaubt hatte: Menschen hier in Deutschland zu helfen, sie zu begleiten.
Nun, fünf Jahre später, ist daraus mein absolutes Herzensprojekt geworden.
Was dreigleisig begann (Hilfe für Nepal | YAKMANDU | Coaching für dich), wurde mit der Zeit zu viel für mich.
Drei Herzen in meiner Brust ließen sie fast zerspringen und ich fühlte mich immer mehr so, als würde ich allem nicht gerecht werden.
Auch eine wichtige Lektion in meinem Leben.
Lektionen, die ich vom Erdbeben gelernt habe
Meine Demut vor dem Leben durch die Berührung mit dem Tod
Die Ärmsten zu speisen verlangt keine Dankbarkeit
Meine Angst gehört zu mir. Sie beschützt mich, aber beherrscht mich nicht
Um den Schmerz zu ertragen, erlebe ich ihn und weiche ihm nicht aus
Verletzlichkeit öffentlich zu zeigen, macht mich stärker, nicht schwächer
Ich brauche nicht immer einen Plan, ich brauche die richtigen Menschen und Visionen
Führung ist fucking schwer und anders, wenn's nicht um Geld, sondern um Purpose geht
White Saviorism is a thing! Und Entwicklungshilfe ist kein schönes Wort
In zwei Ländern zu leben bedeutet nie ganz in einem der beiden zu leben
Wir alle haben Sorgen und sie sind für uns alle sehr real, ganz gleich was auf der Welt los ist
Ich kann so viel mehr schaffen, als ich mir jemals zugetraut hätte
Meine Kraft reicht so weit wie meine Imagination es zulässt
Ich kann unter den widrigsten Lebensumständen ohne Dach über dem Kopf und Essen Glück empfinden, wenn ich Menschen um mich weiß
Meine Talente offenbaren sich, wenn es drauf ankommt
Menschen helfen mir. Ich darf sie danach fragen.
Jahre später - immer noch präsent
Jedes Jahr feiere ich meinen zweiten Geburtstag.
Mal für mich alleine, mal mit einer kleinen oder großen Party.
Das haben wir uns damals dort versprochen, diesen Tag als unsere zweite Chance zu feiern.
Ist das Erdbeben noch ein großes Thema in meinem Leben?
Ja und nein. Ich denke nicht mehr täglich dran, auch wenn es täglich Anlass dafür gibt.
Unsere NGO ist mittlerweile komplett in Händen der nepalesischen Freunde, mit denen ich alles aufgebaut habe. So wie's sein soll. Denn sie wissen so viel besser, was gebraucht wird und wo.
Was kulturell passt und was übergriffig ist.
Es war nicht leicht für mich, das loszulassen.
Und gleichzeitig war es eine Erleichterung.
Auch das ist noch eine Lektion, die ich lernen durfte.
Kürzlich habe ich meine Reise vor dem Erdbeben und danach aufgeschrieben und unser gemeinsames Buch "Willst du mit mir gehen, Herz?" erscheint in wenigen Wochen. Ein wunderbares Gefühl, wenn man zurückblickt und alles nun Sinn ergibt. Richtig war. Für mich und mein inneres Wachstum.
Heute, an meinem zweiten Geburtstag, blicke ich zurück. Beim Bilder betrachten erscheint schon wieder alles so fern, als wäre es ein anderes Leben gewesen.
Und das war es ja auch.
Dennoch ist es meines.
Die Erinnerungen und Erfahrungen sind in mein Herz gebrannt und ich will sie nicht missen.
Auf die (bisher) transformativsten Jahre meines Lebens.
Deine Karuna
(Meinen Nepali-Namen haben mir nepalesische Waisenkinder gegeben. Karuna(Sanskrit: करुण ist ein zentraler Begriff der buddhistischen Geistesschulung und Ethik. Er beschreibt die Tugend des Erbarmens, der Liebe und des (tätigen) Mitgefühls.
Du willst unserer NGO in Nepal etwas spenden? Dann mache das unkompliziert via Paypal. (Leider können wir dir keine Spendenquittung ausstellen, aber dafür das gute Gefühl geben, dass das Geld zu 100% ohne Verwaltungsgebühren in Nepal ankommt bei denen, die es brauchen)
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