Jetzt beginnt sie wieder, die anstrengendste Zeit des Jahres.
Die Zeit des Spazierengehens.
Die einzige, in der ich das Wetter wirklich persönlich nehme.
Ernsthaft.
Sobald dieses „Oh, es bleibt abends schon länger hell und morgen soll schönes Wetter werden“- Gefasel losgeht, empfinde ich blanken Stress.
Ich verstehe dieses Konzept nicht.
Leute, findet ihr es echt vorteilhaft, dass man sich bei strahlendem Sonnenschein mit dreckigen Fensterscheiben, Fusseln auf schwarzen Pullis, Pickeln und frustrierenden Kleiderschrankmomenten auseinandersetzen muss, während der übrige Alltag schon herausfordernd genug ist?
Darüber hinaus vermeide ich Bewegung und unnötigen Kontakt mit Menschen, wann immer es möglich ist.
Deutlich zu früh um im weiteren Verlauf eine halbwegs aufregende Biografie zustande zu bringen, bin ich wieder zurück auf’s Land gezogen. Das hat mich die Aberkennung meines Punkstatus gekostet. In der Stadt wird nur noch geplant gesoffen und die Sonntagabendpizza befindet sich 5 km außerhalb des Liefergebietes.
Ich wollte meine Ruhe. Niemandem begegnen. Abtauchen in die indifferente, brandenburgische Nullundnichtigkeit.
Dieses verdammte schöne Wetter brüllt unmissverständlich: „Hände hoch, Beine auseinander, Gesicht zur Wand!“ Schieß doch Bulle, denk ich und hoffe auf einen spontanen Wetterumschwung.
Als verantwortungsvolle Mutter und weil sich der Ehemann hin und wieder auch ganz gern im Freien aufhält, spüre ich die Verpflichtung, SPAZIEREN GEHEN zu müssen, sobald schönes Wetter attestiert wird. Damit bin ich offensichtlich nicht alleine.
Denn ALLE wirklich alle, scheinen an diesem Event teilnehmen zu wollen. Die gedankliche Gegenprobe hat ergeben, dass ich kein Problem hätte, mitten in der weißrussischen Einöde bei schönem Wetter das Haus zu verlassen. Es kann demnach eigentlich nicht am Wetter oder der Natur an sich liegen.
„Hinterm Vorhang steht ein Herr“ würden die Ärzte singen, in diesem Fall kein Herr, sondern ich.
Wie ein durchgeknallter Sniper stehe ich hinterm Vorhang, weil ich versuche den günstigsten Moment für das Verlassen meiner schützenden Höhle abzupassen.
Ich schwöre beim toten Kurt Cobain: es ist mir noch nie gelungen. Genau in dem Augenblick, in dem ich mich in Sicherheit wähne und durch die Tür schlüpfe, schallt es mir mit passiv-aggressiver Pseudofreundlichkeit entgegen, „HALLO?!“ Die Nachbarin. Da geht’s schon los. Während ich mich noch über mein erneutes Versagen, die Bude wieder nicht im richtigen Moment verlassen zu haben ärgere, stammle ich ein aus Genervtheit, Verachtung und geheuchelter Überraschung zusammengebackenes: „Hallo.“ (was habe ich dir getan, dass du mir in meinem teuer bezahlten Rückzugsort nicht eine Minute des Friedens gönnst?). Dass sie noch immer nicht aufgegeben hat nach all den Jahren, wirkt auf mich alles andere als beruhigend.
Gut, jetzt bin ich schon so weit gekommen, die Familie drängelt, weiter gehts. Wir müssen das Grundstück verlassen. Dann gibts kein Zurück mehr. Also keins, was nicht ganz offensichtlich nach Flucht aussehen würde. Ich denke an den Flachmann, den mir mein bester, bester, Freund zum letzten Geburtstag geschenkt hat. Er geht auch nicht spazieren. Muss er aber auch nicht. Seine Kinder sind alt genug um selbstständig zu spazieren. Aus Mitgefühl hat er mir diesen Flachmann geschenkt, der soll das Spazieren erleichtern. Leuchtet komplett ein.
Tapfer ergebe ich mich den Horden sich ausbreitender „HalloHallos“. So nenn’ ich die jetzt. Ich glaube jedes Land hat seine ganz eigenen „HalloHallos“. Italienische HalloHallos: „Ciao“ (Ein schönes Kleid tragen sie heute Signora, wenn sie möchten, würde ich sie auf der Stelle heiraten.) Möchte ich nicht, aber hey, nice to know. Schwedische HalloHallos: „Hej“ (Ich bin auch schüchtern und möchte dir auf keinen Fall zu nahe treten, aber wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.) Deutsche HalloHallos: „Hallo“ (Ich verachte einfach alles an dir und wir beide wissen, ich grüße dich einzig und allein deshalb, weil ich mir auf gar keinen Fall Unhöflichkeit nachsagen lassen will.)
Den eindeutigen emotionalen Missbrauch der HalloHallos würde ich vielleicht noch wegstecken. Der Punkt an dem ich dann endgültig aussteige und vor dem ich mich am meisten fürchte, ist der, an dem man während dieser Tortur sogenannte lose Bekannte trifft. Dann verlangt die Gesellschaft etwas von mir, was ich selbst mir vorgehaltener Waffe nicht im Stande bin abzuliefern. Smalltalk. Ich könnte morgens um 5 halbwegs schlüssige Erklärungen zum Thema Quantenphysik abliefern, aber die Regeln des Smalltalk bleiben ein ewiges Mysterium für mich. Ich weigere mich zu akzeptieren, dass es Ziel menschlicher Kommunikation sein kann, möglichst viel Nichts zu sagen.
Was ist dieses Nichts?
Ist das Wetter nichts?
So wie sich der Deutsche bei schlechtem Wetter persönlich gekränkt fühlt
und ich mich bei Gutem, scheint dieses Thema keine Kleinigkeit zu sein.
Zu einem Zeitpunkt an dem ich noch auf Hochzeiten eingeladen wurde,
gipfelte meine Behinderung darin,
dass ich nach 5 unerträglich langen Minuten
an einem Tisch mit mir völlig unbekannten FDP-Wählern fragen musste,
was denn ihr Indianername wäre, wenn sie einen hätten.
Ich wurde länger schon nicht mehr überhaupt irgendwohin eingeladen.
Und wenn die spazierenden Smalltalk-HalloHallos dann noch fragen: „Wie Geht’s?“, dann haben sie mich endgültig da wo sie mich haben wollen. Während ich versuche mich zu beruhigen und in meinem Kopf krame wie eine 3-jährige, in der Hoffnung mich zu erinnern, wie jetzt weiter vorzugehen ist, quäle ich mir ein Guuut! heraus, wobei auch noch darauf zu achten ist, dass es sich nicht zu guuuuut anhört, denn eigentlich ist hierzulande Jammern und gestresst sein angesagt.
Damit liegt man im Smalltalkgame ganz weit vorne. „Und dir so?“ Und dann gehts meistens um irgendwas, was ich nicht mehr mitbekomme, weil es diese Nichtsfärbung annimmt. Dann flutscht mir das Gesagte durch die Finger, weil es so unendlich Nichts ist. Und so blubblubblubt der Spaziergangsgeiselnehmer vor sich hin, während ich ihn innerlich für meinen drohenden Alkoholismus verantwortlich mache. Heimweh überkommt mich dann. I feel you Frodo Beutlin.
Davon erhol ich mich den ganzen Sonntag im Bett. Und das Wetter spielt auch mit. Es schüttet aus Eimern.
Über die Autorin
Born and living in fucking Brandenburg Alter: Meine Mutter sagt 41 Neigt zu: Hypochondrie, Depressionen, Prokrastination guilty pleasures: Verehrt Queen Elisabeth, trinkt Whisky auch manchmal mit Cola Kann nicht verzichten auf: Trüffel, Whisky ohne Cola, Streusel ohne Kuchen, Musik, Ehemann und Tochter Was andere sagen: Könntest auch erstmal guten Tag sagen, bevor du mir in die Fresse haust. Unnötigstes Talent: Kann nach einem Satz jede Folge Alf erraten.
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