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AutorenbildAnn-Carolin Helmreich

"Ich hab da so ein Problem mit Grenzsetzung"


Es gibt Menschen, die sagen ohne Probleme

„Nein, heute passt mir nicht“

oder

„Ne du, das möchte ich nicht für mich, lass mal“


Ganz selbstverständlich eben.

Das sind Menschen mit guter Abgrenzung, mit eigenen Grenzen, die sie wahren können.

Ich bin nicht so ein Mensch. Ich war’s auch nie. Ich würde es gerne werden.

Denn Grenzen zu setzen macht mir Angst.

Wovor ich Angst habe?

Angst davor, dass ich durch Grenzen aus-grenze.

Mich ausgrenze, oder eben andere.

Angst davor, dass mich Menschen vielleicht nicht mehr mögen könnten, wenn ich anecke, wenn ich meine eigenen Bedürfnisse geltend mache.

Nicht immer verfügbar bin.

Vor allem für ihre emotionalen Bedürfnisse.

Angst vor Kontroverse, vor Streit, vor zu-mir-stehen.

Letztlich die Angst, verlassen zu werden.

Für das, was ich bin.

Also lasse ich mir lieber so lange von anderen Menschen auf meiner Nase rumtanzen, bis ich mit ziemlicher Regelmäßigkeit auf genau diese falle.


Dann fühle ich mich klein, schwach, unfähig wie ein Kleinkind und bedauere mich gerne selbst.

Meist fällt diese Phase in meinem Zyklus auf – ihr ahnt es vielleicht schon – PMS (prämenstruales Syndrom, ein Zustand der hormonell bedingt zu viel Innenschau und Analyse führt)

Wenn ich eine Pause brauche, weil ich zu wenig Grenzen gesetzt habe


Während ich das schreibe, ist es wieder soweit.

Also das mit der PMS. Und auch zu wenig gesetzten Grenzen in der letzten Zeit.


Ich nehme mich gerade eine Woche raus aus meinem Business. Kein Urlaub.

Einfach nur nicht arbeiten.

Private Dinge klären.

Zeit für mich zu haben.

Mal nur für mich da zu sein.


Gefühlt stelle ich mich tot.

Antworte dennoch auf alle Emails und Anfragen.

Real betrachtet mache ich also das Gegenteil.

Ich tue so, als setze ich eine Grenze, damit es mir besser geht.

Und mache es aber dann nicht konsequent.

Ich erkläre mich viel, rechtfertige es bei anderen und vor mir selbst.


Mich eine Woche rauszunehmen fühlt sich für mich als Selbstständige wie ein großes Wagnis an. Nicht selbst und ständig für alle Bedürfnisse da zu sein. Sondern meine eigenen Bedürfnisse zu erspüren und diesen dann Raum zu geben.



Dinge, die mich dazu gebracht haben, dass ich mich jetzt so fühle, kenne ich zu gut:


  • Wenn jemand mir um Mitternacht schreibt und ich denke, ich müsse sofort reagieren. Bin ja schließlich noch wach. Feierabend? Was ist das?


  • Wenn ich super kurzfristig Terminanfragen für den gleichen oder kommenden Tag bekomme und es mir daher meine Terminplanung verhagelt. Ich aber nicht einfach konsequent sage, dass ich nicht immer verfügbar bin und es lieber habe, wenn Termine Anfang der Woche fix sind.


  • Wenn ich die Themen aus dem Coaching zu sehr in mein privates Leben reintrage, zu lange auf bestimmten Fällen rumkaue und diese nicht loslasse.


  • Wenn andere über meinen Kopf hinweg über meine zeitlichen Verfügbarkeiten meinen bestimmen zu können und ich mich dadurch dann in die Enge getrieben fühle.


Alles Punkte, die mein Gegenüber ja nicht tut, um mir zu schaden.

Sondern weil ich eben durch mein Verhalten signalisiere:

Ey, voll ok, so kannst du mit mir umgehen.

Ich bin da unkompliziert.


Bin ich aber gar nicht immer.

Und ICH habe damit ja ein Thema, meine Grenzen bewusst zu formulieren, nicht mein Gegenüber.

Daher ja auch MEIN Thema, da besser zu kommunizieren und eine klarere Haltung einzunehmen.

ICH muss das lernen, mein Gegenüber kann mir nur vor den Kopf schauen. Nicht dahinter.


Voll wichtig, das zu verstehen.

Nur ICH kann mich ändern in diesem Thema.

Mein Umfeld wird es nicht tun. It's up to me. Always.


Warum kannst du das als Coach nicht?


Man möchte meinen, dass ich in meinem Job als Coach doch genau solche Dinge voll drauf haben müsste. Ist aber in diesem Fall nicht so.

Ich lerne noch. Und ich lerne am besten, wenn da jemand auf der anderen Seite genau das gleiche Problem hat. Wenn ich mich in dieser Person ein stückweit sehe und erkenne.

Dann kann ich prima darin begleiten, besser abgegrenzt durch’s Leben zu laufen.

Und lerne dabei natürlich auch immer etwas für mich selbst.

Ist ja ohnehin meist so, dass Menschen zu mir kommen, die Themen haben,

die ich selbst von mir kenne oder kannte.


Wenn ich ihnen dann sage, wie gute Abgrenzung geht, dann sage ich das auch immer ein wenig zu mir selbst. Und darf Stück für Stück heilen.

Und: nur weil ich’s selbst nicht so gut kann, heißt das nicht automatisch, dass ich andere darin nicht begleiten könnte ;-)

Woher kommt das Problem mit der Grenzsetzung?


Das kann ich ziemlich genau ausmachen.

Kindheit und Schule haben mich in Szenarien geworfen, in denen es wichtig war, dass ich Bedürfnisse im außen gut erkenne und diese dann erfülle. Das Leben hat mich auf eine bestimmte Weise konditioniert, wie uns alle.


Hochempathisch zu sein funktioniert bei mir eben am besten, wenn ich mich ausblende.

Meine eigenen Bedürfnisse zurückstelle. Keine Grenzen aufstelle.


In der Schule dann waren es ein paar Jahre Mobbing, die mich geprägt haben.

„Warum wehrst du dich denn nie?“ „Setze deinen Mitschülern mal Grenzen!“

Wie oft habe ich das gehört, die Worte kenne ich zu gut.

Die Bedeutung und Umsetzung hingegen ist mir immer schwer gefallen.

Ein Psychologe hat’s mir dann mal so erklärt:


Wenn du einen Vorgarten hast, dann machst du da einen Zaun drum.

Mit einem kleinen Eingangstürchen.

Du lässt nicht einfach jeden beliebigen Menschen da in deinen Vorgarten und die Rosen, die du mühsam gezogen hast, pflücken.

Manche Menschen kommen sogar und trampeln auf deinen Tulpen rum.

Und du stehst da, schaust schüchtern hinter der Gardine hervor und traust dich nicht, was zu sagen. Geh raus und brüll die an:

„HEY! Das ist MEIN Vorgarten!

Da habt ihr nur Zutritt, wenn ich euch reinlasse.

Und hier wird nichts gepflückt oder zertrampelt.“


Mache klar, was du willst und was nicht. Sei deutlich und bestimmt. Und dennoch kannst du mitfühlend und empathisch sein. Das schließt sich nicht aus.

Eigentlich total logisch, oder?

Wenn wir aber tief verankerte Glaubenssätze haben und Ängste dahinterstehen, ist das zwar logisch, zugleich erscheint es oft unüberwindbar.

Ich habe mittlerweile mit einigen Psychologen und Coaches an diesem Thema gearbeitet.

Es begleitet mich immer noch. Dinge lassen sich eben nicht so einfach "wegmachen".


Im Vergleich zu früher ist es besser geworden.

Wenn ich jetzt ab und an mal eine Grenze setze OHNE mich dafür zu rechtfertigen, bin ich total stolz auf mich.

Zumindest kurzfristig.

Dann kommt ein Gefühl von Angst, dass ich „drüber“ war.


Denn WENN ich dann mal Grenzen setze, dann oft so deutlich, dass andere erschrecken.

Und ich auch vor mir selbst.

Uuupsi, wieder etwas übersteuert.


Wenn du also Menschen dabei beobachtest, überlege für einen Moment, WARUM sie so deutliche Grenzen ziehen und es vorher vielleicht gar nicht gezeigt haben.


Was ist meins – was ist deins?

Durch meine Arbeit als Coach lerne ich unglaublich viel über mich selbst.

Ich entwickle mich mit jedem Menschen, den ich begleite, auch selbst weiter.

Lasse Geschichten und Menschen nah an mich und mein Leben ran.

Denn so coache ich nun mal und das macht die Erfahrung auch so besonders.

Doch was es dafür braucht, ist eine gute Abgrenzung.

Puh, da kommt es schon wieder, dieses Thema.


Denn wenn jemand um mich herum einen Schmerz empfindet, beginne ich mich dafür verantwortlich zu fühlen, diesen Schmerz zu lindern.

Da zu sein. Im Schmerz mit jemandem zu stehen und diesem Menschen das Gefühl zu geben, dass jemand da ist.

Mein Problem ist nur, dass ich vorher nicht checke, ob ich mir das aktuell zumuten kann, weil ich vielleicht selbst gerade große innere Schmerzen habe.

Ich übergehe meine eigenen Bedürfnisse für die Bedürfnisse anderer. Genau das ist mangelnde Grenzsetzung. Und damit mangelnde Selbstfürsorge.

Eine Form der Selbstausbeutung für Anerkennung und Liebe, die man dafür bekommt, dass man die selbst verschenkt.

Bissl pervers und verdreht, nicht wahr?


Joa, so haben wir eben alle unsere kleinen und großen Päckchen aus der Kindheit, unsere Verwicklungen, die wieder ent-wickelt werden wollen.

Es kommt nicht von ungefähr, dass ich diese Berufung gewählt habe, als Coach zu arbeiten.

Sie entspricht allen Talenten, die ich so entwickeln durfte bis jetzt.

Und sie fordert mich heraus, mit allen Limitierungen, die ich mir selbst erschaffen habe, radikal Schluss zu machen.


Denn tief im Kern bin ich frei.

Bin ich nicht ver-wickelt.

Tief in mir gibt es eine Weisheit.

Die weiß immer, was ich gerade brauche.

Da gibt es liebevolle Grenzen.

Und auch harte, wenn es sein muss.

Ich darf mich wieder daran erinnern.

Wieder zurückfinden, zu diesem Punkt.

Dieser Essenz.


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